Vor knapp 18 Stunden hat Thomas Steinert, Mitglied des Fanprojekts, ehemaliger Fanbeauftragter und vor allem ein ganz wichtiger Teil der Fanszene der Adler Mannheim auf Facebook einen Text verfasst, der eingeschlagen ist wie eine Bombe. Bisher wurden seine Worte schon 150x geteilt, mit über 500 Reaktionen und mit knapp 150 Kommentaren versehen. Er regt zum Nachdenken und Diskutieren an. Nehmt euch die Zeit, lest ihn euch durch. Wir freuen uns natürlich über eine rege und offene Diskussion (ohne Fingerzeig auf andere!) – nur gemeinsam lässt sich etwas ändern.
Von Thomas Steinert
Viele Gespräche in den letzten Wochen mit älteren und auch jüngeren Fans haben mich zu den nachfolgenden Zeilen veranlasst. Ich will mich wie immer kurz halten, befürchte aber, dass es nicht klappen wird.
Ich war nie einer von denen für die früher alles besser war. Klar, man erinnerte sich zurück an legendäre Schlachten, an unvergessene Momente, an Reisen mit dem Club oder ans Extrem-Groundhopping. Wahrscheinlich könnten wir seitenweise Bücher mit Geschichten aus den letzten fast 25 Jahren füllen, wenn wir sie überhaupt noch zusammen bekämen. In einem anderen Text habe ich schon mal vor langer Zeit aufgeführt was ich diesem Sport so verdanke. Nicht nur die Freundschaft zu tollen Menschen, nein ganz viel Lebenserfahrung, die Möglichkeit mit Tausenden von Gleichgesinnten großartiges zu erleben, Geschichte zu schreiben und ein Stück seines Herzens an die Adler und Eishockey verloren zu haben. Es kam unerwartet von heute auf morgen und es war so verdammt berauschend. Ich habe es aufgesaugt und mich auf das kommende Wochenende wie ein kleines Kind gefreut. Erst ein paar Heimspiele, dann kamen Auswärtsspiele dazu, dann Vorbereitung in der Schweiz 1999 und 2000, Weltmeisterschaften, Groundhopping in 25 verschiedenen Ländern.
Faszinierend am Anfang vorallem die Stimmung im altehrwürdigen Friedrichspark. Zugegeben, ich bin zu einer perfekten Zeit zum Eishockey gekommen. Als die „Jungen Wilden“ in ihren schwarz-gelben Pro-Markt-Trikots die Liga aufmischten und ein neues Eishockey in Mannheim etablierten. Das Stadion war voll und das was mich so faszinierte war damals am Anfang noch nicht mal so sehr der Sport, sondern viel mehr das Außenrum. Verrückte Menschen, lustige Gesänge, Konfetti-Schlachten, Leitern, Kanister und alles was diese Zeit mit sich gebracht hat.
Während ich das schreibe kommen schon wieder so viele tolle Erinnerungen hoch und ich aufpassen muss, dass ich nicht doch ins Schwärmen gerate. Kurz gesagt: Ich ertappe mich immer wieder, dass mich die Reminiszenz einholt. Denn was für mich den Sport mit seinem Drumherum so ausgemacht hat ist in Gefahr. Es fängt an zu bröckeln.
Lassen wir die schönen Momente hinter uns und widmen uns der Gegenwart. Wir schreiben die Saison 2018/2019. Für uns in Mannheim rein spielerisch eine Mega-Spielzeit mit richtig gutem Eishockey. Die Halle müsste trotz dieser Tatsache eigentlich durchgehend ausverkauft sein. Wir bezeichnen uns ja selbst immer als Eishockeystadt. An dieser Stelle möchte ich auch mal loswerden, dass es für mich keine respektlose Bezeichung der vielen anderen Sportarten in Mannheim ist, sondern lediglich ein überdurchschnittliches Interesse am Eishockey in der Umgebung im Vergleich zu anderen deutschen Städten. Manchmal störe ich mich aber doch ein wenig an diesem Begriff, der in Mannheim am Hauptbahnhof so groß über den Reisenden thront, weil er mein Bild von der aktuellen Situation nicht wiederspiegelt.
Hatten viele noch 2007 dem Friedrichspark und seiner Atmosphäre aus den 90igern hinterhergeweint, so komme ich mittlerweile In Versuchung das auch mit 2007 zu machen. War am Anfang der SAP Arena der Stehplatz immer zuerst voll, kauften sich die Leute dann einfach den günstigsten Sitzplatz um sich dann noch irgendwie in die Nordwestkurve zu quetschen. Heute ein völlig umgekehrtes Bild. Wenn der Sitzplatz bis in die letzte Reihe schon richtig voll ist, dann bekommt man immer noch Stehplatz-Tickets. Die Reihen des Oberrangs bei vielen Spielen eher spärlich besetzt. Wenn ich es richtig weiß, dann waren es bisher nur zwei ausverkaufte Spiele in dieser Saison (bei 7000 Dauerkarten!). Wohlgemerkt bei einem guten und offensivem Eishockey und einem dauerhaften 1. Platz in der Tabelle. Holt man sich die Erinnerung aus 2007 zurück und schaut sich bei youtube Videos an, dann muss man einen klaren Abwärtstrend seit dieser Zeit konstatieren. Die Mitmachquote im Stehplatzbereich was klatschen, singen, hüpfen, Hände etc. angeht deutlich höher als jetzt. Man hat uns innerhalb der Liga bewundert für das „Händemeer“ beim einklatschen der Norwestkurve und der angrenzenden Sitzplätze. Natürlich kam das auch nicht bei jedem Spiel vor, aber deutlich häufiger als heute.
Mein Lieblingsthema ist aber die “Kreativität”. Denn da ist fast nichts mehr geblieben, was uns so ausgemacht hat und manchmal schwanke ich zwischen tiefer Depression und Wut, wenn ich mir das ansehe. Gesänge für Spieler gibt es eigentlich gar nicht mehr und außer dem Torhüter wird fast niemand mehr gerufen, außer er poliert dem Gegner mal ein wenig die Kauleiste. Kreative Gesänge die über die Söhne von Damen aus dem horizontalen Gewerbe hinausgehen, finden gar nicht mehr statt. Gegnerstädte bis 500.000 Einwohner haben grundsätzlich Sex mit Kühen und im Prinzip ist es eigentlich egal wer da unten auf dem Eis steht, denn irgendwie ist das Repertoire irgendwie immer das Gleiche. Drei neue Songs seit 2014 sind einfach viel zu wenig. Mir geht es nicht darum hier irgendjemand an den Pranger zu stellen, sondern nur darum die Zukunft in die Hand zu nehmen, bevor uns noch mehr Leute wegbrechen, die positiv für das Thema Fans waren. Ich weiß, dass sich Lebenssituationen ändern und mir ist bewusst, dass immer wieder Leute durch Gründe wie Familie und Job vom Eishockey wegkommen, aber in den letzten Jahren ist das mit erhöhten Fluktation geschehen und das stimmt mich mehr als nachdenklich.
Ich bin ein Fan davon, wenn alle das gleiche Shirt tragen. Als Beispiel der Sonderzug von 2008 in Hannover https://www.youtube.com/watch?v=zdnepnOWiuA&t=384s. Aber gleichzeitig liebe ich eben auch die Vielfaltigkeit, die Verrückten, die Originale, die Menschen die auffallen und nicht alle gleich aussehen. So wie der Schorle im Unterrang, der seit gefühlt 50 jahren seine Fahne schwenkt, wenn sein Lied erklingt. Oder dieser Ilja, der im Adler-Kostüm durch die Gegend rennt, obwohl er den 25. Geburtstag auch schon deutlich überschritten hat. Das muss nicht jeder mögen, ich finde die Typen mit Wiedererkennungswert deutlich besser als diejenigen, die mit der Masse einfach nur mitschwimmen. Jede Fanszene braucht ihre Originale!
Wo seid ihr alle geblieben?
Ihr Trommler mit der Gabe aus dem Nichts ganze Lieder zu komponieren.
Ihr Eisgötter um die Leute auf das Spiel einzuschwören.
Ihr mit dem Adler oder dem Galgen an dem immer das gegnerische Maskottchen baumelte.
Ihr, die ihr den „Hund in die Küche kommen“ lassen habt.
Ihr Trommler, die ihre Schlaginstrument als Popcormaschine verwendet hatten und damit einen Konfettiregen erzeugt haben.
Ihr Fans, die mit ihrer Anwesenheit schon die Mitmachquote deutlich erhöht haben.
Ihr Fans, für die jedes Spiel eine Party war.
Es stimmt mich nachdenklich, wenn in Block 418 bei Gesang „Steht auf…“ fast die Hälfte sitzenbleibt. Natürlich darf man das Lied nicht inflationär singen, aber die Regelmäßigkeit des Sitzenbleibens ist einfach erschreckend. Genauso wenn ich mir rundherum die Gesichter ansehe: Jeder würde zwar irgendwie gerne loslegen, aber so richtig kann man das Feuer nicht entfachen, obwohl die Saison wirklich gut ist. Was machen wir eigentlich, wenn wir mal wieder nur auf den Pre-Playoff-Plätzen rumeiern? Manchmal habe ich das Gefühl, dass jeder gute Stimmung haben will, aber sie keiner machen möchte. Dabei schließe ich mich gar nicht aus. Ich müsste wahrscheinlich selbst mit gutem Beispiel voran gehen und tue das zu wenig. Wir sind alle gefragt und hier geht es auch nicht um Befindlichkeiten einzelner Leute, hier geht es um das große Ganze. Ach ja und wir gewinnen mit einem historischen Sieg mit 7:0 in Berlin und gehen zwei Tage später wieder zur Tagesordnung über als wäre nichts passiert? Ernsthaft? Sowas kann man durchaus auch noch in ein oder zwei Songs packen und die zum Anfang durchs Arenarund trällern lassen.
Was uns fehlt sind zwei ganze entscheidende Sachen.
1. Spaß!
Wir nehmen alles viel zu ernst. Gefühlt haben wir es verlernt auch mal lustig zu sein. Nach dem letzten verlorenen Halbfinalspiel in München gab es genau das zum letzten Mal.
Holt Euch den Spaß zurück. Legt Eure Sorgen am Eingang zur Arena ab, werdet kreativ oder brüllt Euch den Frust der Woche raus. Aber um Gotteswillen nicht alles immer nur bierernst nehmen, in der gleichen monotonen Leier. Eine Fanszene muss sich immer wieder neu erfinden und sich verändern. Wir können so viel mehr als das was wir gerade zeigen.
Genauso ist es für mich ein schwacher Trost, wenn ich in andere Stadien schaue und feststelle, dass es fast überall nicht wirklich besser ist.
Die Adler bleiben unser Hobby und damit sollte auch immer Spaß verbunden sein!
2. Möglichkeiten sich zu treffen
Wir haben das Thema schon vor einigen Jahren angesprochen. Uns fehlen Möglichkeiten diese Fanszene außerhalb der Arena irgendwie zusammen zu bringen. Da steht die Arena nun mitten auf dem Feld und bietet drumherum einfach nichts. Bin ich übrigens der Einzige der sich fragt warum seit 2005 die Fassade an den Ecken der Arena nicht beendet wurden? Da guckt immer noch der nackte Beton raus.
Aber davon mal abgesehen ist die Möglichkeit zum treffen, austauschen, Choreos basteln mittlerweile ein Muss um eine funktionierende Fanszene zu ermöglichen. Nur in der Kneipe in der Arena wird das nicht klappen und wenn man sich ansieht wie die Zuschauerzahlen und auch die Kreativität sinkt, dann muss sich da dringend was tun. Mir ist auch bekannt, dass es da Gespräche zwischen den Fanbeauftragten und den Adlern gibt, aber wahrscheinlich mit unterschiedlichen Vorstellungen. Trotzdem ist es für mich essentiell wichtig da schnellstmöglich zu reagieren. Natürlich würde ich nie dafür die Hand ins Feuer legen, dass so ein Treffpunkt ein Garant für Top-Stimmung wäre, aber es ist ein Anfang und auch hier ist das Thema Identifikation mit dem Club wichtig. Jeder Fußballclub in den ersten Ligen, teilweise mit weniger Zuchauern als beim Eishockey in Mannheim, hat solche Möglichkeiten und schafft damit einen wichtigen Grundstein für eine treue und vielleicht wachsende Fangemeinde. Es dürfen nicht noch mehr Fans wegbrechen, auch wenn die Dauerkartenzahlen gleichbleibend hoch sind! Mir kann keiner erzählen, dass es den Stimmungswandel in der Arena nicht vernommen hat.
Schlimmer als nichts zum treffen zu haben, wäre dann eigentlich nur der Fall Berlin, die nämlich vor ein paar Jahren aus den Fanbögen raus mussten, dann aber mit den Eisbären eine andere Lösung gefunden hatten und diese nun leider mehr als auf dem Spiel steht. Nachzuverfolgen unter #fanbogenbleibt
Ich habe mich oft gefragt, ob meine Ansprüche zu hoch sind oder die Anzahl der gesehenen Eishockeyspiele einfach automatisch dazu führen, dass ich vielleicht etwas empfindlicher reagiere. Aber es geht dabei gar nicht nur um mich. Es geht um jedenen Einzelnen da draußen, der sich fragen müsste, ob lieber in der Vergangenheit schwelgt oder das Ganze wieder zu was Besonderem machen kann. Ich mag noch nicht aufgeben, dafür steckt zuviel Herzblut drin. Jeder der regelmäßig hingeht, will doch die Arena zur Festung machen. Ich will die Gästefans nur hören, wenn man sich vielleicht ein Gesangsduell liefert. Es muss mehr Kreativität rein, sprecht wieder mehr miteinander, arbeitet an Lösungen, nicht an Problemen. Diskutiert sachlich, denkt auch mal drüber nach, ob ein Gesang gerade zu Spielsituation passt, lacht über Euch selbst, seid anders, macht selbst ein Dienstagsspiel zu etwas Besonderem, pusht die Mannschaft wie am 23.12. nach dem 0:3 Rückstand noch zum Sieg. Das sind doch die Momente für die wir dahingehen. Für das Außergewöhnliche, für das Besondere, für den Spaß an der Sache. Brecht aus alten Strukturen, versucht was Neues, stellt Euch von mir aus im Handstand in den Block oder ändert generell mal für ein Drittel oder ein Spiel Euren Platz um eine andere Sichtweise zu bekommen. Legt die Lethargie ab und habt wieder Spaß. Überlegt Euch von mir aus zu Hause neue Gesänge, Melodien und Texte. Es gibt mittlerweile so viele Möglichkeiten diese mit den richtigen Leuten auszutauschen.
Bleibt niemals stehen und lasst diese Eintönigkeit zu. Es gibt noch so viel was wir zusammen erleben können.
Ich habe früher zu jedem Spiel neue Leute mitgeschleppt um ihnen die Faszination meines geliebten Sports und meines Clubs näher zu bringen. Ich würde das gerne mal wieder mit einem guten Gewissen tun, weil ich weiß, dass es ein geiler Abend wird.
Danke fürs lesen!